Manche Geschichten sind so absonderlich, dass es sich lohnt, sie aufzuschreiben. Die Moral von der Geschichte am Anfang: auch ein Profi sollte einem "Anfänger", der vielleicht auch nicht ganz so ahnungslos ist, und der unbestritten sein Fahrzeug sehr viel länger kennt, besser zuhören. Und für die "Normalkunden" auch ein Hinweis: mitzudenken ist immer eine gute Idee, Zweifel zu haben und aber dennoch nichts zu sagen könnte ab und zu nützlich sein. Und ich finde die Story ausgesprochen lehrreich: nicht alles ist immer so wie es auf den ersten Blick scheint, und bei einem Allradfahrzeug gibt es kein "Vorne" und "Hinten", irgendwie ist alles immer verbunden.
Fangen wir von vorne an. Mein 2008-er Koleos hat schon eine Weile seltsame Probleme mit dem Fahrwerk. Nix allzu gravierendes, aber lästig. Geräusche, Vibrationen und eine hin und wieder mehr oder weniger stark rubbelnde Bremse nervten mal mehr und mal weniger. Über das letzte Jahr habe ich immer wieder kleinere Probleme gefunden: eine abgerissene Koppelstange, ausgeschlagene Spurstangenköpfe, und ein Radlager. Die Geräusche und Vibrationen wurden jedes Mal ein wesentlich besser, dennoch war der Wagen nie ganz perfekt, und ein Brummen und Vibrieren war nie ganz weg.
Vor etwa 4 Wochen wurde es dann plötzlich wesentlich schlimmer: beim Bremsen rubbelten die Bremsen plötzlich so stark dass das ganze Auto durchgeschüttelt wurde. Ich fand das lästig, meine Frau fand das lebensbedrohend und sah uns schon in der Leitplanke enden. Die erste Vermutung bei solchen Bremsproblemen geht immer in Richtung verzogener Bremsscheiben. Da war aber sofort ein Einspruch vom kleinen Kobold: wie genau sollte das passiert sein? Ich konnte mich an keine brutalen Bremsmanöver erinnern, keine Passfahren mit Bleifuß auf der Bremse, und keine Rennen auf dem Nürburgring. Warum sollten sich die massiven Bremsscheiben also verzogen haben? Nichts desto trotz beschloss ich nachzusehen, also Räder ab und Messuhr an die Scheiben. Die Rechte war erinwandfrei, die Linke hatte tatsächlich einen Seitenschlag von etwa 15/100mm, zulässig laut WHB wäre etwa die Hälfte. Mea Culpa. Ich sollte vielleicht meiner Reparaturgeschichte zum Radlager einen Hinweis hinzufügen, dass man wenn man die alten, potenziell hinten angerosteten Bremsscheiben wieder montiert, auf Rost auf der Rückseite achten sollte, ich vermute, dass da der leichte Schlag herkommt, ich hatte die Scheibe nur oberflächlich mit der Drahtbürste abgebürstet und nach der Montage nicht nachgemessen. Für ein derartig massives Pulsieren der Bremse konnte der Schlag aber meinem Gefühl nach nicht verantwortlich sein. Und unmittelbar nach der Radlagermontage funktionierte die Bremse ja ganz normal. Aber wer weiss das schon, man kann sich dann noch weitere Einflüsse dazuträumen, z.B. ein ausgeschlagenes Lager, ein lahm gewordener Stoßdämpfer, irgendwas was sich aufschaukelt, was auch immer, bei einem so alten Wagen muss man mit vielem rechnen.
Ich beschloss also, das Problem weiter zu beobachten, und es auch ein wenig schlimmer werden zu lassen, in der Hoffung dann das Problem leichter finden zu können.
Dann kam der Tag, vor etwa 2 Wochen, da fuhr ich von der Autobahn ab, wollte den Wagen abbremsen, und er begann derartig zu schütteln dass sogar mir die Nerven zu flattern begannen. Ich war mir sicher, dass das Schütteln begonnen hatte, bevor ich das Bremspedal gedrückt hatte. Hoppla. Zu Hause checkte ich mit meinen Mitteln alles durch was ich ohne Hebebühne checken kann, und und fand: nichts. Nicht an den Bremsen, und nicht am Fahrwerk. Ich beschloss daher, dass das jetzt ein Fall für einen Profi ist. An einer Nebenfront stand auch noch die nach dem Wechsel der Spurstangen fällige Spureinstellung aus. Ich suchte mir daher aus dem Netz Adressen von Werkstätten heraus, die Spurvermessung anbieten und suchte eine mit einem kurzfristigen Termin. Es gab einen am nächsten Morgen.
Als ich am nächsten Morgen dort einlief, gab es erst mal eine kleine Enttäuschung: Spurvermessung biete man zwar an, mache das aber nicht selber. Hm. Dann wollte ich dem "Profi", einem schon deutlich in die Jahre gekommenen KFZ Meister, die Symptome schildern die ich selber schon beobachtet hatte. Er hörte allerdings bestenfalls mit einem halben Ohr zu, empfand das irgendwie eher Versuch eines Laien, ihm seinen Job zu erklären als als Hilfe, und so starteten wir zur Probefahrt. Die Bremse rubbelte wie verrückt, die Diagnose stand nach wenigen 100m Fahrt fest: Bremsscheiben verzogen. Meinen Einwand, dass 15/100mm Schlag für einen derart brachialen Effekt nicht reichen, und dass die Bremse oft auch tagelang tadellos funktioniert, wischte er unwirsch vom Tisch: jemand wie ich habe wohl kaum eine Messuhr (ich habe mehrere ...), und wenn doch könne er vermutlich nicht damit umgehen. Also latschte er immer wieder in die Bremse, der Wagen schüttelte wie wild, Theorie bestätigt. Ich gab ihm sogar Recht, ja, die Bremse ist sicher irgendwie beteiligt, aber sie kann m.E. für so ein brachiales Problem nicht verantwortlich sein, jedenfalls nicht alleine. Ich bat ihn auch mehrmals, den Wagen doch mal mit der Motorbremse ausrollen zu lassen, er ging auch ein, zwei Mal pro Forma kurz vom Gas, nichts passierte, dann wieder Tritt aufs Bremspedal, Wagen schüttelt, alles klar, es muss die Bremse sein. Hätte ich es nicht auch schon anders erlebt, und mit der Messuhr nachgemessen, hätte ich ihm vermutlich Recht gegeben.
Wir waren inzwischen etwa 2km weit gekommen, und ich wagte immer noch vorsichtig zu zweifeln, da riss ihm der Geduldsfaden: er mache das seit 40 Jahren und habe es nicht notwendig, sich von einem Besserwisser belehren zu lassen, solche Kunden habe er nicht notwendig, wäre es nicht zufällig mein Auto gewesen, hätte ich wohl nach Hause laufen müssen. Ich versuchte mich - obwohl ich mir keiner Schuld bewusst wahr - zu entschuldigen, das wurde brüsk zurückgewiesen. Wer eine Majestät beleidigt, darf sich über seine Hinrichtung hinterher nicht wundern.
So fuhren wir unter eisigem Schweigen zurück. Kurz vor dem Zielort gibt es eine längere Gefällestrecke. Ein Stück vor uns zuckelte ein Traktor dahin. Der Profi ging gewohnheitsmäßig vom Gas, schaltete zurück, und ließ den Wagen ohne Bremse an den Traktor heranrollen. Und da passierte es wieder. Urplötzlich wurden wir immer stärker durchgeschüttelt, und ich dachte, das ist jetzt der Punkt wo wir eine gemeinsame Basis finden müssen, schließlich hatte er die Bremse ja nicht angerührt. Weit gefehlt. Ich bat ihn, das doch nochmal zu machen, und diesmal den Wagen noch weiter in die Motorbremse rollen zu lassen, das Schütteln würde noch weit stärker, und das könne doch die Bremse nicht sein, jedenfalls nicht alleine. Ihr seht schon, ich wollte ihm eine goldene Brücke bauen. Er beschloss aber, sie nicht begehen zu wollen, latschte wieder mehrfach in die Bremse, siehe da, das Schütteln war jedes Mal da, also alles klar, es ist die Bremse. Das Erlebnis von kurz vorher ignorierte er, und er weigerte sich auch standhaft, das Experiment zu wiederholen. An der Werkstatt angekommen wurde ich dann kurz und bündig vom Platz geschickt, Besserwisserkunden hat man nicht nötig.
Ich fuhr ziemlich verunsichert nach Hause.
Dann nahm das Schicksal die Dinge in die Hand. Meine Frau wollte mich im Glauben, ich hätte mein Auto bei der Werkstatt zur Reparatur abgegeben, dort abholen, ich war gerade mal einige Minuten weg als sie dort ankam. Jetzt stellte sich heraus, dass es da alte Bekanntschaften mit nahen Verwandten auch noch gab, es ist halt so im Dorf, und der Meister konnte es nicht lassen, und erzählte meiner Frau brühwarm, wie er gerade ihren Besserwisser-Ehemann vom Platz verwiesen habe. Auch sie tendiert im Zweifelsfall eher dazu, "Profis" zu glauben, entsprechend bekam ich zu Hause wenig erfreuliches an den Kopf geworfen, von wegen Blamage im Dorf.
Ab da wars dann eine persönliche Sache: das Problem muss gefunden worden, oder mein Ruf als technische Kapazität im Familienkreis ist ruiniert. Und bitte, bitte, Schicksal sei mir gnädig, lass es nicht die Bremse sein. Aber was sonst könnte so einen klaren Effekt verursachen, außer der Bremse?
(Fortsetzung mit Auflösung folgt - bis dahin darf gerne gerätselt werden was es *wirklich* war)